Warum die Wiesn so liebenswert ist

Ich lebe in München. Und ich lebe sehr gerne hier. Außer den schrecklich hohen Mieten und einem insgesamt hohen Preisniveau sehe ich keinen Grund, warum man nicht in München sein möchte. Ja, ich bin hier geboren und vielleicht nicht ganz objektiv.

Neben allem, was die Stadt lebenswert macht, gibt es jedes Jahr im Herbst zwei Wochen Wahnsinn, wunderbaren Wahnsinn. Im August freue ich mich, wenn auf der Theresienwiese die Gerüste der Zelte und Fahrgeschäfte langsam wachsen, wenn überall Lastwägen stehen und nichts darauf hindeutet, was einige Wochen später los sein wird. Dann werden aus den Gestängen die Zelte, die in immer gleicher Anordnung stehen, die Fahrgeschäfte bekommen Kabinen, Sitze, bunte Verkleidung und Lämpchen montiert.lw-Lachsack_klein Und dann rückt der Anstich näher, die Dirndl- und Lederhosendichte in der Stadt nimmt merklich zu, auch wenn manche Bekleidungen den Begriff „Tracht“ nicht ansatzweise erfüllen, sondern einzig albern sind. Am ersten Wiesnsamstag gehe ich nie „raus“, aber den Anstich muss ich sehen – jedes Jahr. Kurz vor 12 Uhr den Fernseher einschalten, noch einige Bilder vom Einzug der Wiesnwirte wirken lassen und dann wird auch schon in den Schottenhammel geschaltet, wo der Oberbürgermeister anzapft. Ob es zwei oder drei Schläge sind ist mir wirklich egal, doch bei den ersten Worten läuft mir jedes Jahr ein Schauer über den Rücken: „O’zapft is! Auf eine friedliche Wiesn!“

An einem freien Nachmittag, bei weiß-blauem Himmel und spätsommerlich warmen Temperaturen war ich diese Jahr mit meinen Kindern auf dem Oktoberfest. Ich habe keine Angst, die beiden zu verlieren, obwohl es praktisch minütlich voller wird. Ich habe ihnen erklärt, was sie machen sollen, wenn sie mich nicht mehr sehen und das haben sie auch verstanden. Ansonsten habe ich den Eindruck, dass wir alle hier gut aufgehoben sind. Die Polizistinnen tragen rote Plastikrosen und uniformierte Freunde und Helfer rutschen auf der Münchner Rutschn, einer breiten Rutschbahn, auf der neun Menschen gleichzeitig nebeneinander rutschen können.

lw-IMG_0321_kIch sauge mit jedem Schritt diese einmalige Stimmung auf. Die Mischung der Gerüche, wie es sie nur auf der Wiesn gibt. Der Duft von gebrannten Mandeln mischt sich mit krossem Hendlgeruch, Fischsemmeldunst und Zuckerwatteflaum. Hier beißt einer in eine Bratwurst, dort in kandierte Früchte. Dazu ziehen Fetzen von Unterhaltungen vorbei, man steigt kurz ein, dann hört man schon den nächsten Dialekt, eine andere Sprache, Lachen. Auch die Geräuschkulisse ändert sich ständig. Aus den Fahrgeschäften drängen sich musikalische Highlights und Katastrophen gleichermaßen in den Vordergrund: Der Klassiker Rhythm is a dancer von Snap wird einige Schritte später abgelöst von Anton aus Tirol, „Girls just wanna have fun“, umpf umpf Techno-Gestampfe und verzerrten Stimmen, die einem zum Einsteigen motivieren möchten. Dazwischen kreist das Wellenflug Kettenkarussell, der Schichtl lädt zur Enthauptung und der Vogeljakob pfeift sein Liadl. Horden von Männern – nüchtern und nicht mehr ganz nüchtern – drängen sich um „Hau‘ den Lukas“, um sich anzeigen zu lassen, ob sie nur Weicheier oder echte Kerle sind. Aus dem Zelt quillt das „Prosit der Gemütlichkeit“ und Menschen mit roten Wangen und glasigen Augen. Dort weint ein Kind, weil sein Marienkäfer-Ballon alleine in den Himmel steigt, ein Stück weiter kauft ein Mann seiner Angebeteten ein Lebkuchenherzerl: I mog di!

Das ist die Wiesn, jedes Jahr, zum Glück!

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1 Kommentar zu „Warum die Wiesn so liebenswert ist“

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